Ein nachdenklich-melancholischer Schlussakkord von Cord Wischhöfer und Ingo Abraham
Zwei Tage vor Heiligabend, wenn die abendländische Welt normalerweise in weihnachtliche Ruhe versinkt und dem Fest der Liebe und Verbundenheit entgegenfiebert, wurde in der A-Gruppe der Clubmeisterschaft noch mit harten Bandagen gekämpft. Dr. Ingo Abraham hatte bis zum Drittrundentermin am 15.12.2017 (nicht selbstverschuldet) noch gar keine seiner Clubmeisterschafts-Partien spielen können. Auch Cord Wischhöfer hatte erst eine Partie absolviert. Also wurde eine Nachhol-Turnierpartie auf den Gesellschaftsspieleabend vor Weihnachten angesetzt und ausgespielt.
Kaum im NBH angekommen wurden die beiden Schachspieler mit ungläubigem Staunen begrüßt, wie man denn noch so kurz vor Weihnachten mehrere Stunden in das Verschieben monochrom gefärbter Holzstückchen investieren könne, wo doch tolle Spiele wie Hallenhalma, Fang den Hut oder andere Gesellschaftsspielklassiker im Angebot wären?
Drei ernste Männer (Dr. Ingo Abraham, Cord Wischhöfer, Dr. Torsten Meyer) betrachten ernst und zweifelnd eine Gruppe von Holzfiguren, nachdem Weiß 19. a2-a3 gezogen hatte. Ernst und Unsicherheit der Männer sind der historischen Bedeutung des Geschehens und der vor ihnen liegenden ungewissen Zukunft angemessen. (Foto CM)
Den beiden Schachspielerrecken war es aber wichtig, am möglicherweise allerletzten Spielabend im seit 20 Jahren die Heimat des Clubs bildenden Nachbarschaftshaus auch dem eigentlichen Vereinszweck des SC Weisse Dame e. V. zu frönen: dem Schachspiel.
In einer 68-zügigen Partie, die sich von 19:00 Uhr bis ca. 23:30 Uhr erstreckte, wurde eine Carlsbader Struktur (Abtauschvariante im Abgelehnten Damengambit) durch alle Phase der Partie voll ausgespielt, wobei Weiß die ganze Zeit Initiative und Schwarz eine schwere Verteidigung hatte. Letztlich wurde dann am Ende in fast ausgeglichener Stellung von Schwarz unter den Augen des zufällig anwesenden Verbandsschiedsrichters Johannes Stöckel eine dreifache Stellungswiederholung regelgerecht reklamiert. Das letzte Turnierspiel im Nachbarschaftshaus am Lietzensee endete also unentschieden: Ein hoffentlich gutes Omen auf eine ebenfalls noch nicht positiv oder negativ gefallene Entscheidung der Mächte im Rathaus Charlottenburg über eine Rückkehr des Vereins ins Vereinsheim!?
Nach Partieende versammelten sich viele der anwesenden Vereinsmitglieder noch zu einem kurzen letzten Absingen der Vereinshymne im oder vor dem Englischen Zimmer. Und so verklang zum letzten Mal auf absehbare Zeit der liebliche Refrain, der den Nichtuntergang der Weissen Dame beschwört, in der kahlen Weite des schon ziemlich leergeräumten Vereinsheims.
Ein weiteres geschichtsträchtiges und schönes Bilddokument. Wieder mit drei Herren, die aber nun schon etwas ermattet zu sein scheinen, bei der Begleichung der allerletzten Rechnungen, die Manfred Schreiber (ein HOCH!) den Vereinsmitgliedern stellen wollte. (Foto TG)
Was blieb dann noch anderes zu tun als dem Wirt der Weissen Dame, Manfred „Einziger Freund“ Schreiber erneut für seine jahrzehntelangen Dienste zu danken, seinen Deckel zu bezahlen und wehmütigen Herzens in eine unbekannte Zukunft in der Wilmersdorfer Schlangenbader Straße zu ziehen?
In jedem Abschied liegt immer auch ein neuer Anfang sagt man. Nun denn: „Aber eins, aber eins…!“
Ein in meinen Augen sehr schöner und würdiger Bericht über den Abschied vom Lietzensee – allein die dem Temporalsatz im einleitenden ersten Satz zugrundeliegende These erscheint mir in unserer heutigen höchst kapitalistischen und zugleich konsumorientierten Zeit als sehr gewagt, dürfte hektisches und geschäftiges Treiben im Einzelhandel doch kaum intensiver zu verspüren sein als gerade an den Tagen unmittelbar vor Weihnachten.