BMM 2019/20, Runde 9: Krimi in Kreuzberg

(Bericht von Guido Weyers)

Nach gut eineinhalb Jahren war es endlich wieder soweit: Die finale 9. BMM-Runde der Saison 19/20/21 fand statt, in der es für die vierte Mannschaft um Abstieg oder Verbleib in der ersten Klasse ging.

Die Vorzeichen für den Mannschaftskampf waren denkbar ungünstig. Nach einem Hin- und Her, wann und wo der Mannschaftskampf stattfinden sollte, stand dann kurzfristig der 15.08.21 in Kreuzberg fest. Wir waren dort Heimmannschaft. Es war uns leider nicht gelungen acht Spieler, also eine komplette Mannschaft, zusammenzustellen, obwohl sich Carsten sehr darum bemühte. Einzig Johannes war bereit uns auszuhelfen. Es startete also mit einem kampflosen 0:1.

Mit ca. 20 Minuten Verspätung ging es los. Zu Beginn sah alles noch recht gut aus. Die erste Partie am ersten Brett endete recht schnell mit einem Remis. Stefan schrieb dazu: „Ich habe mit Schwarz in der sizilianischen Eröffnung schon nach kurzer Zeit sehr leichtfertig einen Bauern eingestellt. Konnte jedoch dann in ein Turmendspiel abwickeln, das schon sehr remisverdächtig aussah bzw. schwierig für Weiß zu gewinnen ist. So konnte ich auch dann tatsächlich das Remis halten und nach insgesamt 2,5 Stunden Spielzeit bot mir mein Gegner das Remis an.“ 0,5:1,5

Alle weiteren Partien gingen bis kurz vor bzw. erst nach der Zeitnot zu Ende. Da Sie alle relativ schnell gleichzeitig endeten, hier die Beschreibung der Partien der weiteren Mannschaftskameraden, die mir Ihren Bericht zuschickten.

Carsten: „Ich hatte mit den schwarzen Steinen die Sizilianische Paulsen-Variante auf dem Brett. Das Spiel war lange Zeit ausgeglichen bis der Kreuzberger im Damenendspiel gleich zweimal daneben griff. Nachdem der Damenverlust nicht mehr abzuwenden war, gab mein Gegner die Partie auf.“ 1,5:1,5.

Phillip: „Ich spielte mit Weiß gegen Sizilianisch und wir erreichten einen relativ scharfen Stellungstyp, wo ich mich aber grundsätzlich ganz gut auskannte. Alles lief nach Plan und die Welt war schön: Ich hatte Raumvorteil, es gab im Zentrum Felderschwächen bei meinem Gegner und meine Figuren zielten auf die gelockerte Rochadestellung von Schwarz. Im 18. Zug erreichten wir die spielentscheidende Stellung. Weil die Position sehr komplex und scharf war, hatten beide Spieler nur noch weniger als 30 Minuten auf der Uhr. Ich hätte (wie mir der Computer nach der Partie zeigte) sofort taktisch gewinnen können. Aber leider passierte genau das Gegenteil: Ich griff fehl und im 20. Zug tauchte der Turm des Gegners auf f4 auf, wo er meine Dame auf h4 und meinen ungedeckten Läufer auf e4 gabelte. Das hatte ich zwar ein paar Züge früher in der Vorausberechnung noch gesehen, aber mein folgender taktischer Gegentrick übersah einen Zwischenzug meines Gegners, der meine Dame einstellte. Fazit: Weiter Taktikaufgaben üben.“ 1,5:2,5

Johannes: „Beim Qualifikations-Turnier 2018 in Lichtenrade besiegte mich mein heutiger Gegner als damals 10-jähriger in einer dramatischen Partie – heute ging er sang- und klanglos, nein, er ging mit Pauken und Trompeten unter, verkehrte Welt …  Ich spielte mit Weiß und wir landeten mit Zugumstellungen in einer Stonewall-Struktur. Statt zunächst seinen Damenflügel zu entwickeln, schickte mein Gegner seine Dame in drei (nicht wie üblich in zwei !) Zügen nach h5. Das brachte mich auf die Idee, den Stonewall mittels f3 nebst e4 zu sprengen bzw. das Zentrum zu öffnen, um meinen Entwicklungsvorsprung zur Geltung zu bringen. Vielleicht mit der Überzeugung, eine ausgezeichnete Erwiderung gefunden zu haben, verließ mein Gegner nach seinem 12. Zug das Brett.

In Wahrheit jedoch verlor dieser Zug bereits einen Bauern – und es kam noch schlimmer: Als er ans Brett zurückkehrte, hatte ich den offensichtlich von ihm erwarteten, „unvermeidlichen“ Zug (Se5xSd7) ausgeführt und er spielte fast a tempo, ohne die Stellung zu prüfen, Lc8xSd7. So übersah er die jetzt mögliche Bauerngabel 14. e5 auf Sf6 und Ld6, Partie gelaufen und das früh. Zwar besann er sich in der Folge auf seine Kämpferqualitäten, zwar geriet ich sogar noch in die „obligatorische“ Zeitnot, doch einen Zug vorm Matt, nach meinem 38. Zug, hielt er die Uhr an. Für mich zeigte sie da noch 30 Sekunden…“  2,5:2,5

„Nachtrag: Das Urteil der Engine über mein Konzept der Zentrumssprengung fällt ernüchternd, um nicht zu sagen vernichtend aus – und dennoch provozierte es die partieentscheidenden Fehler meines Gegners, somit also „Folie a deux“, zumindest aber „errare humanum est“ …“

Bei Martin sah es die ganze Zeit über sehr düster aus. Erst ein, dann zwei und schließlich  sogar drei Bauern weniger. Er hatte dann aber Glück und konnte seinen Gegner doch noch Matt setzen. Ein wenig Glück gehört auch dazu, aber das Glück ist bekanntlich mit den Tüchtigen. 3,5:2,5

Thomas Partie sah anfangs  ganz gut aus. Ich dachte sogar, als er die Dame seines Gegners fesseln konnte, dass etwas Zählbares dabei herausspringen könnte. Der Gegner schaffte es aber mit geschickten, taktischen Tricks sich herauszuwinden und Tommy zur Aufgabe zu zwingen. Dieser war nach seiner Saisonleistung denkbar frustriert und verabschiedete sich schnell. „Kopf hoch, Tommy! Es kommen auch wieder bessere Zeiten.“ 3,5:3,5

Am Ende kam es also auf mich an. Hierzu die folgende ausführliche Partieanalyse.


 

Guido Weyers (1793) – Dirk Sander (1885) [A11]

BMM 19/20 (9), 15.08.2021

1.c4 Sf6 2.g3 c6 3.Lg2 d5 4.Sf3 Lf5 5.cxd5 cxd5 6.0–0 Sc6 7.d4 [Wir befinden uns in der slawischen Abtauschvariante. Eine Premiere für mich.]

7…Db6 [Ein seltener Zug. Hauptvariante ist 7…e6]

8.Sc3 e6 9.a3 Se4?

  

Das ist definitiv ein strategischer Fehler. Schwarz vernachlässigt die Entwicklung, verliert in der Folge das Läuferpaar und läßt sich einen Doppelbauern machen.]

10.Sh4! [Der stärkste Zug, bei dem Stockfish bereits +1 anzeigt.]

10…Sxc3 11.bxc3 Lg4 12.h3 Lh5 13.g4 Lg6 14.Sxg6 hxg6 15.Dd3 Sa5 16.Lf4 f5?

[Jetzt ist der Doppelbauer auf der g-Linie eine echte Schwäche.]

17.f3? [Zwischen zwei Plänen wähle ich den schlechteren. Es dauert zu lange bis ich e4 spielen kann und mein Läufer bleibt lange Zeit schwach. Besser wäre folgende Variante gewesen, die mir als erstes einfiel.]

[17.Tfb1 Da6 18.Dg3! Jetzt muss Schwarz entweder 18…Kf7 oder 0–0–0 spielen.]

17…Ld6 18.Tab1 Dc6 [Jetzt gewinne ich den b7 und dachte in der Stellung auch den g7. Dabei habe ich aber ein kleines Detail übersehen]

19.Lxd6 Dxd6 20.Db5+ Sc6 21.Dxb7 0–0! [Das hatte ich tatsächlich übersehen.]

22.Da6 Tab8

23.e4?! [Macht die Stellung kompliziert. Objektiv nicht gut, aber mein Gegner hatte in der Stellung nur noch wenige Minuten auf der Uhr und macht auch prompt den Fehler.]

23…f4? [Der Bauer wird schwach. Ich schließe die Stellung und fixiere die Schwächen f4, g6 und e6]

24.e5! Dc7 25.Dd3 Se7 26.h4 Tfc8 [Schwarz bekommt Gegenspiel]

27.Txb8 Txb8 28.Dd2 Tb3 29.Dxf4 Dxc3 30.Tc1

30…De3+? [Ein weiterer Fehler. Damentausch in der Stellung ist nur für Weiß gut. In etwa hier bietet mir mein Gegner Remis an. Meine Mannschaftskollegen erklärten mir, dass Lichtenberg gegen Eintracht kampflos verloren hat und es stehe bei uns 3,5:3,5. Ein Remis hätte uns nicht zum Klassenerhalt gereicht. Deshalb musste ich das Angebot ablehnen und weiter auf Gewinn spielen.]

31.Dxe3 Txe3 32.Tc7 [gewinnt einen weiteren Bauern]

32…Kf8 33.Txa7 Td3 34.Ta4? [Zu passiv gespielt, mittlerweile hatte ich auch nicht mehr so viel Zeit.]

[34.Lf1 Tb3 erzwungen (34…Txf3?? 35.Ta8+ Kf7 36.Lb5 und Weiß steht auf Gewinn) 35.Ta6 Kf7 36.Kf2 Tb2+ 37.Kg3+–]

34…Sc6 35.f4? Txd4? [Der letzte Fehler von Schwarz in Zeitnot, nachdem die Partie gewonnen ist. Der Rest ist Formsache.]

[35…Sxd4! 36.Kf2 Ke7 37.Ta7+ Kf8 Hier hätte sich Schwarz eventuell noch retten können.]

36.Txd4 Sxd4 37.Kf2 Sc6 38.Ke3 Ke7 39.Lf1 Kd7 40.Ld3 Se7 41.Kd4 Kc7 42.Kc5 [und Schwarz gibt auf.] 1–0


 

So ist eben. Manchmal ist man der Mannschaftsa…. und manchmal der Mannschaftsheld. Ich habe beides schon erlebt, wobei natürlich letzteres viel schöner ist. Und wenn dann noch der Lieblingsverein am selben Tag 3:1 gegen die Hertha gewinnt, kann man von einem fast perfekten Tag sprechen. Aber lassen wir das.

Schauen wir nach vorne auf eine weniger durch Corona bestimmte Schachzukunft ohne Maske, Hygieneregeln usw., mit viel Spaß und Freunde vor Ort am Brett, so wie es früher einmal war und hoffentlich wieder wird. Zum Schluss noch die Abschlusstabelle der Klasse 1.2, die zeigt, wie knapp es am Tabellenende zuging:

 

Platz Mannschaft Spiele MP BP
1 SF Nord-Ost Berlin 2 9 12 41,5
2 SV Empor Berlin 2 9 12 40,5
3 SV Turbine Berlin 9 12 37,5
4 SC Kreuzberg 4 9 10 41,5
5 SC Weisse Dame 4 9 8 36,0
6 SG Lichtenberg 2 9 8 34,5
7 SC Zitadelle Spandau 1977 3 8 8 33,5
8 SV Berolina Mitte 2 8 8 32,0
9 SC Eintracht Berlin 9 8 27,0
10 SG Weißensee 49 2 9 2 24,0

Hinweis der Redaktion:

Die Tabelle ist in mehrfacher Hinsicht mit Vorsicht zu genießen, da sie zum einen kein offizielles Verkündungsorgan (mehr) ist und sich zum anderen aufgrund überregionaler Veränderungen noch weitere Verschiebungen bei Auf- bzw. Absteigern geben könnten.

Ferner wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit pandemiebedingt eine Reduzierung der teilnehmenden Mannschaften (= weniger Klassen) in der kommenden BMM-Saison 2021/22 geben, wonach die Auf- bzw. Abstiegsentscheidungen der abgelaufenen Saison de facto ausgehebelt werden würden.