Hat die Niederlage der ERSTEN womöglich den GREIXIT verhindert?

Die ERSTE im „Paella“ bei der entspannten Analyse von Ingos schwungvoller Oberliga-Partie (Foto: Claudia)

Fällt in irgendeinem Zusammenhang der Name der schönen Hansestadt Greifswald – gewiss, meist wird dies wohl doch eher in Gesprächen mit schachbezogenen Inhalten geschehen – so erinnere ich mich immer gerne zurück an das wunderbare Wochenende im August 2008, als nämlich der Greifswalder SV den SC Weisse Dame zu sich an die Ostseeküste einlud. Den Kontakt zwischen beiden Vereinen stellte seinerzeit der viel zu früh verstorbene Detlef Plümer her – Gott hab ihn selig!

Das Programm sah damals für Samstag zunächst einen Vergleichskampf an 20 Brettern vor, bevor es abends in großer und geselliger Runde an den Eldenaer Strand zum Grillen ging. Unsere Gastgeber hätten fürsorglicher wirklich nicht sein können, mangelte es doch bei ausgelassener Stimmung wirklich an nichts! Bis in die tiefe Nacht hinein wurde gefachsimpelt, Fußball und Schach gespielt, … so lange, bis auch die letzte Wurst vom Grill verputzt und die letzte Flasche Bier geleert worden war.

Am Sonntag hatten die Greifswalder für uns dann noch eine Stadtführung und eine Dampferfahrt, den Ryck hinab zum Greifswalder Bodden, organisiert. Großartig! Zwei für mich unvergessliche Tage.


So, nun aber genug mit den Erinnerungen an längst vergangene Zeiten! Die Situation vor dem Kampf gegen den Greifswalder SV stellte sich zumindest für uns relativ entspannt dar. Wir hatten uns vorgenommen, aufgrund einer bis dahin recht gut gespielten Saison mit erzielten 8:4 Mannschaftspunkten, gegen die Greifswalder zumindest den noch einen fehlenden Punkt für einen sicheren Verbleib in der Oberliga zu holen.

Ganz anders dagegen gestalteten sich die Voraussetzungen für die Greifswalder, die mit 3:9 Mannschaftspunkten eine bis dahin unerwartet enttäuschende Saison spielten. Hatten sie nämlich noch in den beiden vorangegangenen Spielzeiten ganz hervorragende Platzierungen mit fast identischem Personalstamm belegen können, drohte ihnen in dieser Saison der Abstieg aus der Oberliga – oder, um es noch drastischer auszudrücken, der GREIXIT – danke, Kai-Gerrit, für diese treffliche Wortkreation!

Vor diesem Hintergrund war es für uns nicht ganz so verwunderlich, dass die Greifswalder mit einer außerordentlich starken Aufstellung anreisten, wobei wir zugegebenermaßen an den vier hinteren Brettern mit einer anderen Spielerkonstellation rechneten. Bei uns sprang Kay für den verhinderten Ruprecht an Brett 3 ein, was aber die Greifswalder Vorbereitung nur an einem Brett torpedierte.

Der Wettkampfverlauf sah dann wie folgt aus:

Kai-Gerrit: „Angesichts der überraschenden Aufstellung der Gegner entschied ich mich, eröffnungstechnisch eher sicheres Terrain zu betreten, um nicht Gefahr zu laufen, in eine gezielte Vorbereitung hineinzugeraten. Nach durchaus ambitioniertem Beginn landeten wir per Zugumstellung schließlich aber in einer uns beidseits offenkundig bekannten Stellung, bei der uns beiden um nicht evtl. in Nachteil zu geraten etwas anderes als die zum Remis führende Zugwiederholung nicht ratsam erschien.“

0,5:0,5

Ralf: „Ich spielte mit Schwarz einen Pirc gegen Christian Bartolomäus, auf den ich nicht vorbereitet war, da er sonst weiter vorn eingesetzt war. Er spielt selber Pirc und kannte sich sehr gut aus. Sein Gegenspiel am Damenflügel mit a4 behandelte ich falsch, indem ich den Bauern schlug. Dadurch entstanden Schwächen in meiner Stellung, die mein Gegner ausnutzte und den Druck konsequent weiter erhöhte. Meine Stellung war sehr passiv und ich konnte nur durch zähe Verteidigung auf einen Fehler meines Gegners hoffen. Dieser Fehler blieb aber aus und ich verlor.“

0,5:1,5

Franko: „Nachdem die Eröffnungsphase von beiden Seiten mehr oder weniger abgeschlossen war, machte mein Gegner einen fürchterlichen Fehler, der ihm so einiges an Material kostete. In einem Einzelturnier hätte er wohl vermutlich sofort aufgegeben, bei diesem aber für die Greifswalder so wichtigen Mannschaftskampf konnte er sich dazu nicht durchringen, zeigte große Leidensfähigkeit und schleppte die Partie noch bis kurz vor die Zeitkontrolle hin.“

1,5:1,5

 Heinz: „Bereits zum zweiten Mal in dieser Spielzeit bekam ich mit Schwarz die Drachenvariante der Sizilianischen Verteidigung aufs Brett. In einer ersten kritischen Stellung berechnete ich weitgehend korrekt, dass mein Gegner auf den von mir sodann gespielten und wohl auch objektiv besten Zug in zwei verschiedenen Varianten jeweils durch ein Läuferopfer maximal ein Dauerschach hätte erreichen können, verbrauchte hierfür aber rund ein Drittel der mir innerhalb der ersten Zeitperiode insgesamt zur Verfügung stehenden Bedenkzeit und zudem vermutlich einen Großteil meiner Energie. Nachdem mein Gegner den erwogenen Verwicklungen aus dem Weg ging, indem er sehr schnell mit einem passiven Zug antwortete, konnte ich durch ein Qualitätsopfer positionellen Vorteil erlangen. In der Folge schwebte mir zwar der richtige Gewinnplan vor, doch ich verpasste die einzige Möglichkeit zu dessen Umsetzung. Wie mir der Computer im Nachhinein zeigte, hatte ich danach noch die Chance, durch ein Läuferopfer mit dann vier Bauern für einen Turm bei nahezu vollständiger Lähmung der gegnerischen Figuren auf Sieg zu spielen. In bereits hoher Zeitnot entschied ich mich aber für eine Abwicklung, bei der mein Gegner unter Opfer seines Turmes schließlich ein Dauerschach erzwingen konnte.“ (Am Ende dieses Berichts wird Heinz noch genauer auf die von ihm verpasste Möglichkeit eingehen.)

2,0:2,0

Hendrik: Da der Berichterstatter während seiner eigenen Partie häufig Gelegenheit dazu erhielt, sich dem Geschehen der anderen Bretter zu widmen, war er erfreut darüber mit anzusehen, wie Hendrik es am Spitzenbrett verstand, den Druck auf die Zentrumsbauern seines Gegners immer weiter zu erhöhen. Aber irgendwann, muss irgendwo gewaltig etwas schief gelaufen sein, denn urplötzlich ist Hendrik das Opfer eines überfallartigen Angriffs geworden, den sein Gegner im großen Stil vortrug.

2,0:3,0

Kay: „Ich hatte die Ergebnisse meines Gegners gesehen und war nicht beeindruckt. Dann spielt er 1.Sf3. Was soll’n der Sch***? Ist doch keine Eröffnung nicht. Kann ich beurteilen; spiel´ ich selber … Fand mich bald in einer Stellung wieder, die sicher etwas schlechter für mich war. Erschreckte mich aber nicht. Business as usual … Dann drohte er eine Figur zu gewinnen, ich seh´ die Widerlegung und geh´ frischen Mutes Tee ausleeren, um auf dem Weg zur Toilette drauf zu kommen, dass er auch einfach ruhig fortsetzen kann. Grunz. Tut er natürlich. Spielt das dann aber eher zahnlos und ich bin sicher, Remis zu haben. Und, da ich einiges (Doppelgrunz!) übersehe, gebe ich leichter Hand meinen potentiellen Freibauern. Nachdem ich dann noch mehr nicht über-, aber zu spät sehe, hätte ich nach Txh7 aufgegeben. Ich hätte nur die Wahl zwischen Matt in 2 oder 4 gehabt. Nur: er will kein Matt. Ich bin erneut nicht beeindruckt und sicher, das Doppelturmendspiel mit f-, g-, h- gegen e- und f-Bauern halten zu können. Er ist sicher, zu gewinnen. Ich habe unrecht. Eine in Summe grottenschlechte Partie. So schlecht, dass ich mich – seit langem wieder mal – ziemlich ärgere.“

2,0:4,0

Achim: „Nach ruhiger Partieanlage fehlte es meinem Vorgehen im frühzeitig entstandenen Endspiel an Genauigkeit, so dass schnell eine völlig ausgeglichene Stellung entstand, die folgerichtig im Unentschieden endete.“ Und Achim schreibt etwas verwundert weiter:
„Bemerkenswert war das Drumherum: Schachfreund Stubbe wies Kay und mich darauf hin, dass Spieler einer Mannschaft während eines Mannschaftskampfes nicht miteinander sprechen dürfen – so jedenfalls ein Schiedsrichter der Oberliga Nord-Ost. Falls das zutrifft, frage ich mich ernsthaft, ob Schach noch meine sportliche Sonntagsbetätigung sein kann.“

2,5:4,5

Ingo: „Kaum saß ich am Brett, da sprang mich mein Gegner schon mit Albins Gegengambit an. Ich konnte den für mich günstigen Hauptvarianten geistesgegenwärtig ausweichen und landete in einer überraschend guten Nebenvariante, die schon von Dr. Tarrasch gespielt wurde. Die Zeit wurde zunehmend knapper und die Partie zunehmend schärfer, doch diesmal gelang es mir, nicht zu viel einzustellen und nach dem 40. Zug hatte ich ein günstiges Endspiel mit einem Mehrbauern. Dies gewann ich relativ geradlinig im 53. Zug.“

3,5:4,5

Nach dem Mannschaftskampf gingen Ingo, Ralf, Heinz, Hendrik und meiner einer zum Mexikaner „Paella“ – später gesellte sich auch noch Claudia dazu –, um diese knappe Niederlage bei gutem Essen und ausreichend Flüssigkeit zu beklagen (siehe Foto). Schnell waren wir uns aber einig, dass es gegen die an diesem Tag stark aufgestellten und unzweifelhaft bestens motivierten Greifswalder keine Schande war, den Kürzeren zu ziehen.

Es dürfte aber dennoch keinen überraschen, gelang es uns doch bisher noch immer, jede Niederlage umzubiegen – zumindest in der Post-mortem-Analyse. Und so war es selbstverständlich auch dieses Mal. Schauen wir uns beispielsweise die Stellung von Heinz etwas näher an, in der sein Gegner, Dr. Malte Stopsack, gerade 32.g4 gespielt hatte:

Stopsack – Uhl, nach 32.g4

Wie Heinz sagte, hatte er hier durchaus den starken Zug 32…De5!! im Blick, konnte aber am Brett nicht mehr als das Dauerschach nach 33.gxf5 Dg3+ 34.Kh1 Dh3+ 35.Kg1 erspähen, was ihm in diesem Moment zu wenig erschien. Der Computer hingegen zeigt ungeachtet des großen materiellen Nachteils an dieser Stelle jedoch eine für Heinz rosige Zukunft auf. Nach nämlich 35…Le5! 36.f4 (36.f3?? Ld4+ 37.Tf2 exf3 –+) 36…Ld4+ 37.Tf2 gxf5 –+ (siehe zweites Diagramm) folgt zum richtigen Zeitpunkt der entscheidende Break mittels e5, wonach Weiß trotz seines Mehrturms völlig hilflos wäre.

„Schade, dass ich nicht mehr genug Zeit hatte, um etwas tiefer in die Stellung zu schauen…“, meinte Heinz verständlicherweise enttäuscht.

Stopsack-Uhl (Analyse), nach 37… gxf5

Dem Verfasser dieses Berichts fällt abschließend dazu nur der Spruch unseres Fußball-Rekordnationalspielers, Sprachakrobaten und Wortjongleurs Lothar Matthäus ein, der erst kürzlich in einem Anflug von Lyrik folgende Stilblüte von sich gab:

„Wäre, wäre, Fahrradkette! So ungefähr – oder wie auch immer.“

PS: Auch die Greifswalder haben einen Bericht verfasst, der hier nachzulesen ist.